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Klimawandel und Tropenkrankheiten:

Klimaerwärmung bringt Malaria und Leishmaniose zu uns

(2002)

Aufgrund der Temperaturveränderung breiten sich scheinbar ausgestorbene oder auch gänzlich neue Krankheitserreger in Europa aus, befürchten Parasitologen.

Im September 1997 erkrankt bei Aachen ein 15 Monate alter Junge an einer seltsamen Erkältung mit hohem Fieber und Blutarmut. Die Ärzte können dem Jungen nicht helfen, bis sie vier Monate später überraschend die Ursache finden: Das Kind ist mit Leishmaniose infiziert, einer tropischen Krankheit, die von einzelligen Parasiten hervorgerufen wird, an der weltweit rund 15 Millionen Menschen leiden. Erst jetzt können entsprechende Medikamente gegen die Parasiten eingesetzt werden und der Säugling wird gerettet. Aber eines ist den Medizinern ein Rätsel: Die Leishmania-Parasiten werden, ähnlich wie bei der Malaria, von Stechmücken auf den Menschen übertragen. Der an Leishmaniose erkrankte Junge hatte aber niemals tropische Länder besucht und auch keine Mittelmeerländer, in denen Leishmaniose ebenfalls auftritt. Auf welchem Wege hatte er sich infiziert?

Zwei Jahre später - im Juli 1999, in der Nähe von Neuenburg in BadenWürttemberg. Bei den ersten Sonnenstrahlen morgens um sechs betritt der Biologe Torsten Naucke die Scheune eines Bauernhofs. Auf dem Boden steht ein mit feinster Gaze bespanntes würfelförmiges Drahtgestell von 17 Zentimetern Kantenlänge. Ein dünner Lichtschein geht von dem Drahtgestell aus, denn ganz oben leuchtet eine winzige Glühbirne, und ein Ventilator direkt darunter bläst ständig Luft in den Gazekäfig hinein. Auf diese Weise haben sich während der Nacht viele kleine Fliegen, Motten und Mücken in dieser Gazefalle angesammelt. Torsten Naucke klemmt den Akku ab, so dass die Glühbirne erlischt und der Ventilator verstummt. Er nimmt Glühbirne und Ventilator vom Gazekäfig herunter, verschließt das kleine Insekten-Gefängnis und stellt es in eine Kühlbox, denn die Tiere haben noch eine Autoreise vor sich und sollen am Leben bleiben. Mit insgesamt sieben solcher Fallen fährt Torsten Naucke zurück nach Bonn und wertet den Inhalt aus. Der Verdacht des Biologen bestätigt sich. Es gelingt ihm der erste Nachweis von Sandmücken in Deutschland: winzige, etwa zwei Millimeter kleine, sandfarbene Stechmücken, die Überträger der Leishmaniose.

War der 15 Monate alte Junge zwei Jahre zuvor durch heimische Sandmücken infiziert worden? Diese Vermutung liegt nahe.

Es gab weitere Leishmaniose-Fälle in Deutschland, aber die Fachleute waren der Überzeugung, es gäbe bei uns keinen Überträger für die Leishmaniose. Deshalb wurde der Sandmücken-Fund in Deutschland von der Fachwelt zuerst ungläubig belächelt, erinnert sich Torsten Naucke. Sandmücken sind weltweit in den Tropen und Subtropen verbreitet. Derzeit sind 90 Länder bekannt, in denen Sandmücken leben. Zuletzt ist neben Deutschland im Jahr 2001 auch Belgien auf diese Liste gesetzt worden, als man dort ebenfalls Sandmücken entdeckte. In Europa haben die Biologen 23 Arten beschrieben, weltweit sind es mehr als 700 Arten.

Der wissenschaftliche Name für Sandmücken lautet Phlebotomen: sie haben eine beige Farbe und sind etwa zwei Millimeter lang und haben einen Körperdurchmesser von einem Millimeter; für diese Winzlinge stellen deshalb die üblichen Mückennetze kein Hindernis dar, um an ihre Blutmahlzeit zu gelangen. Sandmücken können durch ihren Stich den einzelligen Leishmania-Parasiten übertragen, der dann die Leishmaniose verursacht, eine uralte Infektionskrankheit mit vielen Namen: Orientbeule, Aleppobeule, Kala-Azar, DumDum-Fieber, Espunia. Oft befallen die Parasiten die Haut und hinterlassen entstellende Narben. Sind innere Organe betroffen, kann die Infektion tödlich enden. Heute kann man die Erkrankung behandeln, wenn sie erkannt wird. Bevor eine Therapie zur Verfügung stand, war die sogenannte viszerale Leishmaniose, die die inneren Organe angreift, tödlich. Trotz der heute verfügbaren Therapie sterben von hundert erkrankten Patienten immer noch drei bis zwanzig, je nachdem, wann die Ärzte mit der Therapie beginnen konnten. Die Erreger der Leishmaniose sind mit den Trypanosomen, den Erregern der Schlafkrankheit verwandt. Einundzwanzig Leishmania-Arten können dem Menschen gefährlich werden. Die winzigen Schmarotzer infizieren mit Vorliebe Immunzellen und siedeln sich in Knochenmark, Leber und Milz an und vermehren sich dort.

In den letzten Jahren hat Torsten Naucke immer wieder Sandmücken in Baden-Württemberg gefangen, im vergangenen Jahr 2001 sogar 117 Tiere in mehreren Ortschaften Süddeutschlands. Der Biologe hat es außerdem geschafft, die winzigen Tiere zu züchten, was ungeheuer kompliziert ist; so kann er jetzt ihre Lebensweise studieren. Derzeit häufen sich in Deutschland Fälle von Leishmaniose-Erkrankungen bei Mensch und Tier, berichtet Torsten Nauckes: In Deutschland seien insgesamt neun Fälle bekannt, darunter ein Menschen, eine Katze, ein Pferd und sechs Hunde. Im Zuge der Klimaveränderungen erwartet der Biologe eine Ausbreitung über ganz Deutschland. Vor kurzem ist ihm der Nachweis von vier Sandmücken in der Ortschaft Gerweiler 20 km nördlich von Kaiserslautern gelungen. Parasitologen rechnen damit, dass sich Krankheitsüberträger wie die Sandmücke durch die Klimaänderung bereits verbreitet haben und noch weiter ausbreiten werden. Während eine Tropenkrankheit, die Leishmaniose, bei uns neu Fuß zu fassen scheint, kommt eine andere ebenfalls von Steckmücken übertragene Krankheit zu uns zurück, die zumindest in Deutschland als ausgerottet galt: die Malaria. Vor wenigen Jahren entdeckten Ärzte in einem Duisburger Krankenhaus, dass ein Kind aus Angola, das wegen eines Abszesses behandelt wurde, malariainfiziert war. Kurze Zeit später erkrankten zwei weitere Patienten im Krankenhaus an Malaria. Nun gibt es in Deutschland nur wenige Anophelesarten, die den Erreger der Malaria tropica übertragen können. Nach den zwei Malaria-tropica-Fällen hatten die Ärzte des Duisburger Krankenhauses jedoch zusammen mit Kollegen des tropenmedizinischen Instituts Hamburg nach geeigneten Überträgern gesucht. In einem Wäldchen nahe der Klinik fanden sie auch tatsächlich in einem mit Wasser gefüllten Hohlraum einer alten Buche Larven von Anopheles plumbeus, einer Anophelesart, die Malaria-tropicaErreger übertragen kann.

Die tropische Malaria ist die gefährlichste Form von Malaria und kam bis jetzt nur in den Tropen vor. Denn ihr Erreger, der Einzeller Plasmodium falciparum braucht Wärme für seine Entwicklung. In gemäßigten Breiten überwog deshalb früher eine weniger bösartige Malariaform, die Malaria tertiana, die vom Parasiten Plasmodium vivax ausgelöst wird. Und solche Malariafälle waren bei uns gar nicht selten, berichtet Professor Walter Maier vom Institut für Medizinische Parasitologie in Bonn. Damit sich Malaria ausbreiten kann, müssen drei Bedingungen erfüllt sein: Erstens muss es Menschen geben, in deren Blut die Erreger leben, zweitens müssen geeignete Insekten als Überträger vorhanden sein, und drittens muss die Außentemperatur hoch genug sein, damit sich die Parasiten in den wechselwarmen Mücken vermehren können. Nach Walter Maiers Angaben leben im Süden Europas Anophelesarten, die sehr viel potentere Malariaüberträger und vergleichbar mit den afrikanischen Überträgern sind. Bei der Klimaveränderung könnten solche hochpotenten Überträger aus dem Süden nach Norden wandern, warnt der Parasitologe.

Noch etwas begünstigt heute die Ausbreitung von Anophelesarten: ehemals trockengelegte Feuchtgebiete wurden als ökologisch wertvolle Lebensräume erkannt und folglich Entwässerungsgräben wieder verstopft und trockengelegte Flächen vernässt, wie zum Beispiel im Feuchtwiesenschutzprogramm des Landes NordrheinWestfalen. Stechmückenspezialisten warnen heute vor der Anlage neuer Brutplätze, die in Poldern, stillgelegten Güllegruben und auch in Folienteichen den Anophelesmücken gute Lebensbedingungen bieten.

Aber etwas anders könnte zum Problem werden: denn Stechmücken in Europa und Deutschland können neben Malaria auch andere Krankheiten übertragen, vor allem Virusinfektionen wie das Tahyna-Virus, das SindbisVirus, das Dengue-Virus und das West-Nil-Virus. Im August dieses Jahres ist im US-Bundesstaat Louisiana eine West-Nil-Epidemie ausgebrochen und hat mehrere Todesopfer gefordert. Der Gouverneur hat den Ausnahmezustand erklärt. Wissenschaftler sagen voraus, dass das Virus bald auf dem gesamten Gebiet der USA vorkommen werde. Ähnliche Entwicklungen sind auch für Europa denkbar, sagt Walter Maier.

Bereits jetzt legen Forschungsergebnisse den Verdacht nahe, dass sich aufgrund der Temperaturveränderung der letzten Jahre scheinbar ausgestorbene oder gänzlich neue Krankheiten in Europa ausbreiten können. Walter Maier ist Projektleiter einer Arbeitsgruppe deutscher Parasitologen, die sich mit dieser Frage befassen. Zwar wird das Projekt vom Umweltbundesamt unterstützt, aber insgesamt sieht Walter Maier für die Parasitologie in Deutschland einen deutlichen Nachholbedarf: Alles in allem sind die Bedingungen für Parasiten heute so günstig wie nie: Globalisierung ist nicht nur ein Begriff der Wirtschaft, auch in der Biologie spielt er eine immer größere Rolle.

Die Sandmücken als Überträger der Leishmaniose galten ehemals als tropische Insekten, die gerade noch im Mittelmeerraum zu finden waren. In der Region von Montpellier sind 7 Prozent der streunenden Hunde mit Leishmanien infiziert, berichtet Torsten Naucke, in Nordgriechenland 3 Prozent, in Südgriechenland 40 Prozent, in Andalusien, dem südlichsten Punkt Spaniens 42 Prozent, und auf Sizilien, dem südlichsten Ort Italiens gar 80 Prozent. Mit jedem Kilometer, den man sich in den südlichen Raum bewegt, steigt das Risiko ganz massiv. Aber der Biologe hat gezeigt, dass diese zwei Millimeter kleinen Plagegeister sich auch bei uns ganz wohl fühlen. Wie viele Sandmücken es in Deutschland tatsächlich gibt, ist unbekannt, weil bisher noch niemand nach ihnen gesucht hat. Torsten Naucke ist sich sicher, dass sie nicht nur in Baden-Württemberg, sondern auch in Bayern leben und sich in den Norden vorarbeiten. Warmes und feuchtes Wetter unterstützt sie ebenso wie die Anophelesmücken bei dieser Wanderung.

Viele deutsche Forscher, die sich in früheren Jahren mit Parasiten beschäftigten, sind mittlerweile in den Ruhestand gegangen, und ihre Stellen wurden nicht neu besetzt. Ab Mitte der 70er Jahre glaubte niemand mehr, dass Malaria-Erreger und andere Parasiten für die Menschen nördlich der Alpen gefährlich werden könnten. "Wir haben uns in Sicherheit gefühlt und gemeint, das seien alles nur tropische Krankheiten und in Deutschland hätten wir das im Griff", erinnert sich Walter Maier. Die Situation hat sich geändert. Die Parasiten kommen, und sie sind sogar schon unter uns.


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