Betrachtungen

Randbemerkungen zu verschiedenen Themen

 

Vom Lebensraum zum Businessplatz. Wie die Innenstadt zur City wurde
21.01.2019

Der Wiederaufbau in der Nachkriegszeit hat die Städte mehr zerstört als die Bomben. Diese zweite Zerstörung der Städte ist kaum weniger gravierend als die des Weltkriegs.

Die Stadt - Ein Umfeld für Investitionen

Die Städte des Mittelalters und auch noch die Metropolen des 19. Jahrhunderts sind organisch gewachsene Gebilde. Ihr Erscheinungsbild ist geprägt durch ihre Einwohner. Heutzutage ist die Stadt jedoch das Ergebnis der Planung von Investoren und Politik, deren Motive lockende Profite sind und die sich oft ein Denkmal setzen wollen. Gebäude sollen deshalb spektakulär die Größe der Unternehmen und Stadtväter darstellen.

Nach dem Krieg wurden zahlreiche Baudenkmäler und historische Gebäude abgerissen, Unregelmäßiges, Gewachsenes hatte keinen Platz mehr und wurde zerstört. Das Credo der Modernen Stadt lautete: Das Stadtzentrum soll in erster Linie dem Geschäftsleben dienen: hier wird gearbeitet und eingekauft. Gewohnt und gelebt werden soll außerhalb der Innenstadt in anliegenden Wohngegenden. Die Planer tauschten öffentlichen Raum gegen die Grüne Wiese ein: Satelliten-Städte wurden aus dem Boden gestampft, Wohnen und Privatleben immer mehr an den Stadtrand verschoben. Jetzt mussten die Bewohner aber zum Arbeiten zwischen Vorstadt und City pendeln, und schnell wurde deutlich: das Wohnen im Grünen erzeugt immer mehr Verkehr. Und Verkehr bedeutet bis heute vornehmlich Autoverkehr. Die Planungen einer autogerechten Stadt in den 1950er Jahren formte die Stadt zur City um. Schlichte großzügige Bauten, Tangenten-Straßenzüge und Stadtautobahnen prägen das Gesicht der autogerechten Stadt. In der City sind in der Folgezeit die Bodenpreise in die Höhe geschossen. Gebäude dienen der Verwaltung, dem Verkauf, der Arbeit und dem Konsum, allenfalls finden sich in den obersten Stockwerken Luxusappartements zu horrenden Preisen. Stadtbahnen und Autos befördern alltäglich die Menschen aus dem Umland in die City, in der sie Wege und Plätze bevölkern. Sie sind Besucher. Berufstätige, Konsumenten und Touristen überwiegen, Bewohner sind in der Minderzahl.

Stadtviertel

Nichtsdestotrotz weisen viele Metropolen mehrere Viertel und Quartiere mit eigenen Zentren auf, die zum Teil noch einen alten Lebensstil bewahrt haben.

Wie soll dat nur wigger jon,
wat bliev dann hück noch ston,
die Hüsjer un Jasse
die Stündcher beim Klaafe
es dat vorbei?

En d'r Weetschaff op d'r Eck
ston die Männer an d‘r Thek.
Die Fraulückcher setze
beim Schwätzje zesamme,
es dat vorbei?

Refrain:
Wat och passeet,
dat Eine es doch klor:
Et Schönste, wat mer han
schon all die lange Johr
es unser Veedel,
denn he hält mer zesamme,
ejal wat och passeet.
En unserem Veedel.

Wie soll das nur weiter gehen,
was bleibt denn heute noch stehen,
die Häuschen und Gassen,
die Stündchen beim Schwatzen,
ist das vorbei?

In der Wirtschaft an der Ecke
stehen die Männer an der Theke
die Frauensleute sitzen
beim Schwätzchen zusammen
ist das vorbei?

Was auch passiert,
das eine ist doch klar,
das Schönste, was wir haben,
schon all die langen Jahre
ist unser Viertel,
denn hier hält man zusammen,
egal was auch passiert.
In unserem Viertel.

En unserem Veedel | Bläck Fööss

Die Kölner Band Bläck Fööss besingen mit „In unserm Veedel“ den Zusammenhalt in der Nachbarschaft und feiern das Kölsche Stadtviertel, das sich tapfer gegen die City behauptet. In anderen Liedern wie dem „Et Südstadt-Leed“ kommt die Angst zum Ausdruck, aus der Innenstadt an den Stadtrand vertrieben zu werden. Das heutige Stadtbild Kölns beweist, dass diese Befürchtungen zu Recht bestanden. Die alte und berühmte Straße „Unter Krahnenbäumen“ wurde im Dienste der autogerechten Stadt von der mehrspurigen Nord-Süd-Fahrt zerschnitten und das historisch gewachsene Eigelsteinviertel vom Kunibertsviertel abgetrennt , beklagt nicht nur Wolfgang Niedecken.

Jrööne Well op dä Nord-Süd-Fahrt, jrundlos weed nit amputiert,
Un dä Ress fällt unger „Schicksal“, dat sich noh un noh verliert.
Nix erinnert mieh ahn Kirmes, Prozessione, Karneval,
Klüttewaare, Jipsmadonnas, „Juno rund“ un Damenwahl.

Grüne Welle auf der Nord-Süd-Fahrt, grundlos wird nicht amputiert,
Und der Rest fällt unter „Schicksal“, das sich nach und nach verliert.
Nichts erinnert mehr an Kirmes, Prozessionen, Karneval,
Brikettwagen, Gipsmadonnas, „Juno rund“ und Damenwahl.

Unger Krahnebäume | Niedeckens BAP – Offizielle Website

Je altertümlicher die Quartiere sind, desto schneller werden sie auch vom Tourismus entdeckt und überschwemmt. Die Sehnsucht ist groß, hier noch etwas Typisches, Originelles zu finden, denn die Cities aller großen Städte haben weltweit dasselbe Gesicht. Überall zeigt sich ein Straßenbild mit Starbucks, McDonald’s, mit H & M, Diesel, Marc O‘Polo, Zara, Habitat...

Plätze

Weil die Quadratmeterpreise in der City hoch sind, wird auch der Raum außerhalb der Cafés und Geschäfte bis auf den letzten Zentimeter ausgenutzt. Für den Fußgänger bleibt nur wenig Fläche übrig. Vor den Cafés und Restaurants stehen Stühle und Tische dicht an dicht, vor Geschäften blockieren Werbeaufsteller den Weg, sinnreicherweise nennt man die Dinger auch „Kundenstopper“. Lange wurden Plätze in der Stadt als Parkplätze zweckentfremdet oder sie wurden bebaut. Die Stadtplaner schienen von einem Horror vacui getrieben zu sein. Wer zum Beispiel das Erscheinungsbild des Kölner Bararossaplatzes um die Jahrhundertwende um 1900 mit demjenigen heutzutage vergleicht, bemerkt unschwer: Freie Flächen wie breite Boulevards, Plätze oder Parks haben in der heutigen City untergeordnete Bedeutung. Autos beherrschen den Raum, Fußgänger finden kaum Platz. Der öffentliche Raum ist zur Autoverkehrs- und Verkaufsfläche degeneriert. Nirgendwo kann man sich niederlassen. Wer sitzen möchte, muss konsumieren und zahlen. Dabei sind Tische und Stühle auf das kleinste Maß reduziert, dazu noch möglichst dicht beieinander platziert. Bei dieser Nähe flüchten sich dann viele in die Privatheit ihres Smartphones. Hier nehmen sie Kontakt auf mit Menschen, die sich anderswo befinden, anstatt mit denjenigen am selben Ort.


Literatur:
Hannelore Schlaffer: Die City. Straßenleben in der geplanten Stadt; zu Klampen Verlag, Springe 2013