Betrachtungen

Randbemerkungen zu verschiedenen Themen

 

Waldsterben 2.0
01.08.2019

In Sachsen rechnen die Forstleute in diesem Jahr mit der größten Menge an Schadholz seit Beginn der Aufzeichnungen. In den vergangenen zwei Jahren haben die Waldbäume sehr gelitten: da gab es Herbst- und Frühjahrsstürme, Schneebruch und vor allem zwei außergewöhnlich trockene Sommer. Vor allem die Fichte ist in Gefahr. Sie besiedelt von Natur aus niederschlagreiche, mittlere bis höhere Lagen der Mittelgebirge und des Alpenraumes. Als Brotbaum hat sie die Forstwirtschaft schon seit dem 19. Jahrhundert weitflächig angebaut. Die Trockenheit der vergangenen Sommer hat besonders den Fichten zugesetzt, die als Flachwurzler schnell verdursten. Jetzt sind sie so geschwächt, dass Schädlinge leichtes Spiel haben. Eine gesunde Fichte wehrt sich gegen einen Borkenkäfer, der versucht, ihre Rinde zu durchbohren, mit kräftig herausquellendem Harz. Wenn sie mit ihren flachen Wurzeln kein Wasser im Boden erreicht, schafft sie das nicht. Aber nicht nur Fichten, auch fast alle anderen wichtigen Baumarten wie Kiefern, Buchen oder Eichen zeigen Schäden in einem bislang nicht gekannten Ausmaß. Bundesweit sterben ganze Waldbestände großflächig ab.

Rückblick in die 80er

Waldsterben: Das Wort erschütterte in den achtziger Jahren die Öffentlichkeit. Betroffen von diesen – etwas vorsichtiger ausgedrückt – "neuartigen Waldschäden" war anfangs nur die Weißtanne, vor allem in Ostbayern und im Schwarzwald. Dann kamen zunehmend Schäden an Fichten hinzu. Später erkrankten auch Kiefern, Buchen und Eichen. Die Schuldigen für das Absterben der Waldbäume wurden bald gefunden: die Luftschadstoffe Schwefeldioxid, Stickoxide und Ozon. Endzeitstimmung machte sich breit: "Erst stirbt der Wald – dann stirbt der Mensch!" Nun ist der Wald gar nicht gestorben. Alles nur Panikmache? Die schlimmsten Szenarien haben sich zwar nicht bewahrheitet, nichtsdestotrotz ist der Wald nie wirklich gesund geworden. Seit Beginn der jährlichen Schadensdokumentation vor 35 Jahren ging es dem Wald noch nie schlechter als jetzt, wie der Waldschadensbericht 2018 feststellte: Nur noch 28 Prozent der Waldbäume in Deutschland lassen keine Schäden erkennen. (Waldzustandserhebung 2018 des BMEL)

Gefährdete Waldböden

Schäden der Waldbäume sind an Veränderungen der Baumkronen auf den ersten Blick gut zu erkennen. Anders sieht es mit den Waldböden aus, die sich negativ auf das Wachstum des Feinwurzelsystems und auf den Nährstoffhaushalt der Bäume auswirken. In Jahrzehnten sind über Luft und Regen zahlreiche Schadstoffe in die Böden gelangt und haben sich dort angesammelt.

Einer der bedrohlichen Faktoren, wie man lange weiß, ist die Bodenversauerung. Saure Böden schädigen die Wurzeln der Bäume.Immer ältere Bäume sind betroffen. Heute ist es der Stickstoff, der hauptsächlich zur Bodenversauerung beiträgt – in der Form von Stickoxiden aus der Industrie und dem Straßenverkehr und als Ammoniak aus der Landwirtschaft.

An den Gesamtemissionen von reaktivem Stickstoff (Ammoniak NH3, Stickstoffmonoxid NO, Stickstoffdioxid NO2, Lachgas N2O, Ammonium NH4+, Nitrat NO3-) hat die Landwirtschaft einen Anteil von 63 Prozent, der Verkehr von 13 Prozent, Industrie und Energiewirtschaft kommen auf 15 Prozent. (Stickstoffbericht 2017 des BUM)

Der überreichlich vorhandene Stickstoff treibt das Wachstum der Pflanzen künstlich an. Die Folge: der Bedarf der Pflanzen nach anderen Nährsalzen, wie zum Beispiel Magnesium, steigt; diese fehlen aber im sauren Boden. Das Nährstoffungleichgewicht macht die Bäume dann anfällig gegen Stress. Trockene Sommer oder Schädlinge setzten den vorgeschädigten Waldbäumen viel mehr zu als gesunden Bäumen. Und noch etwas bewirkt das Überangebot an Stickstoff: Die Artenzusammensetzung ändert sich schleichend: auf weit über der Hälfte der Flächen ist die Pflanzenvielfalt gefährdet.

Und nun der Klimawandel

Die Schadstoffe, die sich seit Jahrzehnten in den Böden angereichert haben, belasten auch weiterhin den Wald. Die Schreckens-Szenarien des Waldsterbens, so wie sie in den 80er Jahren verbreitet waren, haben sich zwar nicht bewahrheitet. Der Wald ist wohl härter im Nehmen, als wir dachten. Aber was nicht ist, kann ja noch werden, jetzt zusätzlich unter Bedingungen des Klimawandels.